Bild: emobicon®
Brauchen wir an jeder Milchkanne Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge? Die Strategie der Bundesregierung sagt: Eine Million Ladepunkte bis 2030 sollen realisiert werden. Die Frage ist wo, wie und zu welchen Bedingungen. Zweifel scheinen angebracht. Der Ansatz insgesamt könnte falsch sein, denn das Laden kann in vielen Fällen am Arbeitsplatz stattfinden oder in Ladeparks in Metropolen. Auch die Energiewirtschaft ist von dem Vorhaben nicht begeistert und so sollten die Maßnahmen angepasst werden. Auch viele Fördertöpfe machen es nicht besser. Eine Region hat viel öffentliche Ladeinfrastruktur, andere Regionen zu wenig Ladepunkte. Und nun?
Lockdown bremst den Ausbau von Ladeinfrastruktur nicht
Der Ausbau von Ladeinfrastruktur geht voran. Auch wir merken deutlich das Volumen an Anfragen, die mit sehr viel Aufklärungsarbeit verbunden sind. Ganz unterschiedlich sind die Voraussetzungen und noch unterschiedlicher der Bedarf, der sehr häufig viel größer eingeschätzt wird, als er tatsächlich ist. Das Tempo steigt aber deutlich. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) teilte zuletzt mit, dass wir nun rund 40.000 öffentliche Ladepunkte haben, davon rund 6000 Schnelllader. Trotz Lockdown schreitet der Ausbau voran. Aber es wird komplizierter, aus vielen Richtungen betrachtet.
Voraussetzungen müssen auf den Prüfstand
Es darf hinterfragt werden, ob es nötig ist weitere rund eine Million Ladepunkte zu errichten, wie es die Bundesregierung plant. In der privaten Garage, auf dem eigenen Grundstück, im Parkraum einer Tiefgarage und einige (wenige) Ladesäulen in der Innenstadt Schwerpunkt sollten aber Unternehmen sein, dort wo Menschen arbeiten, die Elektrofahrzeuge tagsüber stehen. Ebenso sinnvoll der City-Lade-Park, an den Raststätten und Autohöfen entlang der Autobahn. Unrealistisch und kaum realisierbar ist der Aufbau in Wohnvierteln. Die Kosten wären zu hoch, der Aufwand enorm. Das wird sicher die Ausnahme bleiben. Auch die Energiewirtschaft hat so Ihre Zweifel: Es handle sich hierbei um „ein Szenario, das von mittlerweile überholten Voraussetzungen ausgeht“.
Automobilverband in der Zwickmühle
Das sagt die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae, anlässlich der Vorstellung eines 10-Punkte-Plans an die Bundesregierung. Das Laden passiert in der Regel nebenbei. Das ist sinnvoll, denn jedes Fahrzeug steht mehr, als es fährt. Selbst bei der deutlichen Steigerung der Nachfrage nach Elektrofahrzeugen scheint das Problem nicht das zu sein, was der Verband der Automobilindustrie sieht. Gleichzeitig bremsen Verbandsmitglieder die Nutzbarkeit, z.B. beim Anbieter IONITY. Mit nicht marktkonformen Preisen für den Ladevorgang. Die Prüfung bei den Wettbewerbshütern dazu läuft. Auch wir von emobicon haben dazu Beschwerde eingereicht. Entweder weiß der Verband davon nichts, oder es wird bewusst ignoriert. Ganz schön viel Doppelmoral bei einem Automobilverband, der sich nicht zum ersten Mal deutlich widerspricht.
Der Bedarf an Ladestationen scheint geringer als angenommen
Dabei ist der Anteil an Schnellladern noch zu gering, während die Wechselladestationen oft an falschen öffentlichen Plätzen stehen. Der Bedarf ist zu unterschiedlich und das System der Ladeinfrastruktur scheint nicht von jedem verstanden zu werden. Der Zugang ist oft zu kompliziert, auch das Desinteresse in Kommunen oder Stadtwerken, die sich dann aber wundern, wenn die Auslastungen der Ladesäulen unterdurchschnittlich ist. Geht man davon aus, dass heute rund 80 Prozent der Ladevorgänge zu Hause oder bei Unternehmen stattfinden, wird sich dieser Anteil auf rund 60 Prozent verringern. Das liegt im Wesentlichen am Bedarf von öffentlicher Infrastruktur derer, die keine eigene Ladestation haben können, weil Sie keinen eigenen Parkplatz haben. In drei optimistischeren Szenarien gehen die Experten dagegen von sinkenden Bedarfen von 470.000 bis sogar nur 360.000 Ladepunkten aus. Sofern der Anteil an Schnellladesäulen auf ein Drittel steigt und der Zapfanteil im öffentlichen Raum auf 15 Prozent sinkt, wären sogar nur etwa 180.000 Ladepunkte nötig.
Der Arbeitsplatz sollte Ladeplatz werden
In 9 von 10 Fällen, so der BDEW, wird heute in der Praxis an der privaten Ladestation geladen. Der Blick verändert sich. Auch, weil oft viel zu groß gedacht wird, der Alltag im urbanen Bereich stattfindet. Tests mit Ladepunkten auf Supermarktparkplätzen für das Laden über Nacht waren aber zuletzt nicht erfolgreich. Die Kosten zu hoch, der Nutzen zu gering, oder es wurde nicht wirklich angenommen. Auch deshalb fordert der Verband in einem 10 Punkte-Plan weitere Erleichterungen bei Gebäuden oder in Unternehmen. Hier müssen zahlreiche Einzelfallentscheidungen getroffen werden, die sich am Recht und an möglichen Förderbedingungen orientieren. Weitere Hürden können durch die komplizierte Eigenstromabgrenzung bei Dienstwagen entstehen, die beim Arbeitnehmer mit eigener Solaranlage zu Hause laden. Es scheint eher komplizierter, statt sinnvoll und einfach zu werden.
Lesen Sie auch
Klimaschutz:
Die Doppelmoral der Autobauer ist die größte Lüge
Elektromobilität:
Mehr Unternehmen für Umstieg auf Elektrofahrzeuge
Elektroauto:
Wenn bei Journalisten die Testfahrt scheitert
Steigender Bedarf nach erneuerbarer Energie
Der Ausbau der Elektromobilität war in Deutschland zuletzt nur schleppend vorangekommen. Die Automobilindustrie, die forderte und die Versorger, die eher auf der Bremse standen. Mehr Flächen und unkompliziertere Verfahren sollen schnell neue Ladesäulenstandorte ermöglichen. Gebremst wird aber bei der Förderung des Bundes, weil der Standorttool Fragen aufwirft, die nicht geklärt sind. Die Bewertungskriterien für die Anzahl von Ladesäulen in einem Gebiet werfen Fragen auf. Denn genehmigt wird nur das, was der Plan vorsieht.
Ferner geht es um die stärkere Nutzung erneuerbarer Energien. Um den steigenden Bedarf zu bedienen, brauchen wir dringend einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Im Moment wird eher gebremst mit Regelungen, die kaum noch verstanden werden.